Am 5. [dem 17. nach dem heute gültigen gregorianischen Kalender] September 1859, als sich die Saison schon ihrem Ende zuneigte, hob Strauss im Benefizkonzert für die Mitglieder des Orchesters eine neue Komposition Olgas aus der Taufe, nämlich die Orchesterfassung einer ursprünglich für Gesang und Klavier gesetzten Romanze nach einem Gedicht Michail Lermontows, Für alles, alles will ich heiß dir danken. Sowohl die Wahl des Textes als auch dessen Vertonung lassen das Werk als verschlüsselte Botschaft Olgas an Strauss erscheinen, in dem sie ihre Sichtweise des vor dem Scheitern stehenden Liebesverhältnisses musikalisch zum Ausdruck bringt. Diese Romanze dürfte Strauss unmittelbar zur Komposition seiner Reiseabenteuer angeregt haben; die Zeitung „Der Zwischen-Akt“ kündigte bereits am 15. September in Wien das baldige Erscheinen der Walzerpartie an. Darin legt Strauss nun seinerseits eine sehr persönliche Chronik seiner Beziehung zu Olga dar, wie sie sich auch in seinen Briefen widerspiegelt.


Die Introduktion beginnt mit einer kurzen, von einem Jagdmotiv der Hörner geprägten Eröffnung im 2/4-Takt (T. 1 – 18); sie signalisiert Aufbruchsstimmung, freudige Erwartung: „Nun muß ich zu meiner poetischen Liebe eilen“, berichtet Strauss seinem Dresdener Kollegen Hugo Hünerfürst, nachdem sein Vertrag in Pawlowsk verlängert wurde. Danach baut sich eine sehnsüchtige, vornehmlich von den Streichern getragenen Melodie im 3/4-Takt auf (T. 19 – 34): „[…] ich glaube immer mehr und mehr, daß Du das von Gott bestimmte Wesen bist, und der Gedanke, ohne Dich leben zu können, findet keinen Raum mehr“, schreibt Strauss im Sommer an Olga. Das musikalische Thema wird zu einer Frage geformt (T. 35 – 46): „Wie kannst Du fragen, ob ich Dich liebe?“ Die bekräftigende Antwort (T. 47 – 54) bildet den Höhepunkt dieses Abschnitts: „Nun kann ich sagen, ,Ich liebe Dich‘, heute haben diese Worte jene Wahrheit, Tiefe im vollsten Maße in sich, welche man vor Gott verantworten kann.“ Ebenjene Takte notierte Strauss am 28. September [10. Oktober] in einem Brief an Olga, den er während der Pause eines von ihm dirigierten Konzerts verfasste, nachdem er Olga im Auditorium erblickt hatte. Das darauffolgende schneidende Motiv der Solotrompete (T. 55 – 59), dessen rezitativische Gestaltung ihm den Charakter einer menschlichen Äußerung verleiht, lässt den eingeweihten Hörer sofort an das Veto der Eltern Smirnitskij denken: „Sie [Olgas Mutter] betheuerte hoch und theuer que jamais jamais ne s’arrangera cette affaire [dass sich diese Sache niemals, niemals machen ließe].“ Die Phrase endet in einem lang ausgehaltenen E-Dur-Akkord, der sich im nächsten Takt (T. 60) nach Moll umfärbt – eine knappe und zugleich treffende Darstellung des Seelenzustands von Strauss.


Daran schließt sich die obligate Kette von fünf Walzern, getreu Strauss’ Worten aus einem früheren Brief an Olga: „Ich will mich durch Musik trösten“. Noch ohne obenerwähntes Themenzitat im Brief an Olga und damit den Schlüssel zum geheimen Programm des Werks zu kennen, vermutete der Strauss-Forscher Norbert Linke bereits: „Im Frage- und Antwort-Verhältnis sind die Motive in den beiden Walzern Nr. IV zusammengeführt: Sind das nicht Olga und Jean im musikalischen Zwiegespräch?“


In der Coda schließlich nimmt eine wenige Takte umfassende, dabei aber höchst ausdrucksvolle Gewittermusik (T. 298 – 345) wohl auf den Seesturm Bezug, den Strauss auf seiner Rückreise in der Ostsee zusammen mit den anderen Passagieren des Schiffs zu überstehen hatte. Zugleich könnte diese Stelle aber auch als Schilderung der inneren Aufgewühltheit des Komponisten verstanden werden: „7 Uhr Abends auf dem Schiff. Engel Olga, es ist das stürmischste Wetter, wie ich noch keines zur See erlebt, welches gleichsam mit meiner Stimmung wetteifernd rast, sodaß ich mit der größten Mühe schreiben kann. […] Mein Schmerz, mit jeder Minute weiter von Dir entfernt zu werden, ist so groß, daß ich vorziehe zu sterben, als diese Qual zu ertragen, ich habe nicht die Kraft – ich liebe Dich zu sehr, ein Leben ohne Dich zu besitzen tödtet mich – und besser wird es für uns Beide sein, wenn ich nicht mehr sein werde.“ Es folgt eine Reminiszenz von Teilen der Walzer Nr. 1 und 3 (T. 346 – 407); die an Rossini gemahnende Schluss-Stretta (T. 408 – 440) kann schließlich als Widerspiegelung der sich bis zur Besinnungslosigkeit steigernden Überreiztheit von Strauss gedeutet werden: „Die Menschen sehen mich auf dem Schiff als einen Wahnsinnigen an, ich merke, daß ich Schaudern errege, die Menschen werden mich bald gänzlich fliehen, und in einen Thurm wird man mich bringen, um zu verenden wie ein Thier. – Danke Dir für Deine tröstenden Briefe, doch für mich gibt es keinen Trost. Meine Leidenschaft verzehrt mich. Adieu, Engel, ich kann nicht mehr schreiben, Gott weiß, was mit mir geschehen wird. Dein ewig, Jean.“


Die Uraufführung der Reiseabenteuer fand anlässlich des ersten öffentlichen Auftritts von Strauss nach seiner Rückkehr aus Pawlowsk am 20. November 1859 im Wiener Volksgarten statt. Seinen eigenen Angaben zufolge spielte er vor 2000 Personen, wobei die neue Walzerpartie von allen Stücken am besten gefiel und dreimal zur Wiederholung verlangt wurde. Die Erstausgabe für Klavier erschien am 2. Jänner 1860 bei Carl Haslinger in Wien unter der Opuszahl 227, die Orchesterstimmenausgabe folgte drei Wochen später und im April gab Haslinger ein Arrangement für Violine und Klavier heraus. Klavierfassungen erschienen auch in St. Petersburg (Musée Musical, als op. 228) und Mailand (Ricordi), dort auch Editionen für Violine bzw. Flöte und Klavier. Dennoch setzte Strauss das Werk in der Folge kaum mehr aufs Programm; die letzten verbürgten Aufführungen fanden 1861 in Pawlowsk statt. In einer Zeit, in der Strauss gezwungenermaßen Distanz zu der für ihn so unglücklich verlaufenen Liebesbeziehung zu schaffen versuchte, waren die Reiseabenteuer wohl dazu angetan, unliebsame Erinnerungen zu wecken. Auf diese Weise geriet eine der beseeltesten Kompositionen von Strauss, zugleich einer seiner ersten Konzertwalzer, unverdientermaßen in Vergessenheit.
Text: Thomas Aigner

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